Über einen Monat ist noch Zeit, um die EXPO in Mailand zu besuchen. Im Herbst ist es vermutlich auch angenehmer als Anfang Juni, als ich dort war.
Es war mein erster Besuch bei einer EXPO, ich kann also keinen Vergleich mit anderen Veranstaltungen anstellen (Lissabon 1998, Hannover 2000). Ob es auch mein letzter Besuch war – wir werden sehen. Ich meine, man sollte einmal eine „Weltausstellung“ gesehen haben, v.a. wenn sie schon so nahe ist wie heuer in Oberitalien.
Das große Thema „Feeding the Planet – Energy for Life“ hört sich vielversprechend an und macht neugierig: auf die verschiedenen Pavillons, auf die unterschiedliche Herangehensweise der Länder, auf die gesamte Inszenierung.
Gleich vorweg: Es ist ein Riesenspektakel, das an 2 Tagen nicht zu schaffen ist. Da heißt es, fokussiert den Besuch planen und wirklich überlegen, was erwarte ich mir und was will ich dort. Einfach nur durchspazieren und alles auf sich einwirken lassen (dafür reicht ein Tag) oder sich doch mehr mit der Materie beschäftigen.
Den großen Vorwurf, dass zwar das Thema ambitioniert klingt und sich tatsächlich auch einige Länder Gedanken zu nachhaltiger Versorgung der Weltbevölkerung gemacht habe, man jedoch vor Großkonzernen wie McDonalds, Coca-Cola, Nestlé etc. in die Knie gegangen ist, vermutlich viel Sponsorgeld genommen hat und damit dem ungesunden Fast Food eine breite Bühne im Rahmen der EXPO geboten hat, kann ich bestätigen. Es ist leider ein ziemlicher Widerspruch.
Die Länderpavillons einzeln zu beschreiben würde zu weit führen, abgesehen davon war ich gar nicht in allen drinnen. V. a. haben wir die ausgelassen, wo lange Schlangen eine Wartezeiten bis über 1 Stunde befürchten ließen (Italien!). Also einfach treiben lassen und schauen, wo gerade nicht viel los ist!
Österreich
Ich gebe zu, dass ich sehr skeptisch war, in erster Linie was die Thematik der Österreicher betrifft (breathe.austria), da es wenig mit Nahrung im herkömmlichen Sinn zu tun hat. Aber ich muss zugeben, dass ich mich wirklich geirrt habe: Der österreichische Pavillon sticht mit seiner schlichten eleganten Architektur heraus (Konzeption: interdisziplinäres Team aus TU Graz und BOKU Wien unter Klaus. K. Loenhart) – und die Idee dahinter ist wirklich genial! „Die Vegetation des Waldstücks besitzt eine gesamte Blattoberfläche bzw. Verdunstungsoberfläche von ca. 43.200 m² und erzeugt dabei 62,5 kg frischen Sauerstoff pro Stunde – den Bedarf für 1800 Personen – ein „Photosynthesekollektor“ also, der zur weltweiten Sauerstoffproduktion beiträgt. Dieser Effekt wird im Pavillon durch Verdunstungskühlung – aber ohne Klimageräte – technisch unterstützt. So kann das gefühlte Klima eines dichten Waldes aus Österreich mit vergleichsweise natürlichen Maßnahmen nachgestellt werden, das auf dem kühlenden Effekt der Evapo-Transpiration der Pflanzen beruht.“ (http://www.expoaustria.at/oesterreich-beitrag/pavillon/konzept.html). Die Wartezeit vor dem Pavillon zeigt, dass das Konzept auch von den Besuchern geschätzt wird.
Deutschland
Deutschland geht sehr gründlich an das Thema heran. Ausgestattet mit einem interaktiven Board (nicht alle kapieren, wie es tatsächlich funktioniert) wird der Besucher durch den Pavillon geschickt. Das deutsche Team war offenbar sehr bemüht, nicht nur Fragen aufzuwerfen, sondern auch Lösungen bzw. Lösungsansätze aufzuzeigen. Der Pavillon geht sehr in die Tiefe der Thematik – das führt aber auch zu einer ziemlichen Textlastigkeit. Um alles zu lesen, auszuprobieren und anzuschauen, würde man mehrere Stunden brauchen.
Schweiz
Der Schweizer Pavillon steht unter dem Motto „Ce n’è per tutti?“ („Gibt es genug für alle?“) und präsentiert als Herzstück 4 hohe Türme, die mit Lebensmitteln und Wasserflaschen gefüllt sind. Jeder kann davon nehmen, soviel er möchte, allerdings muss man sich bewusst sein, dass die verfügbare Menge begrenzt ist und eventuell nicht bis zum Ende der EXPO reicht. Man kann somit mit dem eigenen Verantwortungsbewusstsein entscheiden, wie viel wie lange für die anderen übrig bleibt.
England
Einer der interessantesten Pavillons: Durch eine Wiesenlandschaft nähert man sich einer Art riesigem Drahtgeflecht, das einen Bienenstock simulieren soll – und tatsächlich summt und brummt es im Inneren.
Vatikan
Sehr schön, schlicht und mit einem beeindruckenden Raumerlebnis veranschaulicht der Pavillon des Vatikans die Themen „Nicht nur vom Brot allein“ und „Gib uns heute unser tägliches Brot“ mit einem Film und Installationen, die die Verschwendung von Nahrungsmitteln aufzeigen.
Monaco
Monaco kann bei der EXPO mit einem durchdachten Konzept aufwarten, das sowohl inhaltlich überzeugt als auch die Nachnutzung berücksichtigt: In einem aus Containern gebauten Pavillon steht das Meer als Nahrungsquelle im Mittelpunkt, sehr spannend aufbereitet, und das Ganze wandert nach Ende der Weltausstellung nach Burkina Faso, um dort als Rot Kreuz-Projekt weiter zu bestehen.
Brasilien
In aufregender Architektur, mit einem riesigen begehbaren Netz, werden im brasilianischen Pavillon Informationen zu Landwirtschaft, Nahrungsproduktionssystemen und technologischen Lösungen gezeigt. Für mich besonders herausgestochen sind zudem die Qualität der grafischen Aufbereitung der Infos im Pavillon und die Kleidung des brasilianischen Mädchen am Stand.

Der Künstler Laerte Ramos ließ sich für seine Hängeobjekte von der Architektur Oscar Niemeyers beeinflussen.
Kolumbien
Der kolumbianische Pavillon war einer der wenigen, für den wir uns angestellt haben – und die Warterei hat sich ausgezahlt. Gruppenweise wird man durchs Innere geschleust und bekommt eine beeindruckende Präsentation über die kolumbianische Vielfältigkeit der Landschaft und daher auch der Nahrungsmittel geboten.
Bahrain
Ohne großen Inhalt, aber mit wunderschöner Architektur zeigt sich der Pavillon von Bahrain. Man schlendert durch ganz schlichte Räume und durch Palmen- und Kakteengärten, erfreut sich an den Details und erlebt eine wunderbare Stille inmitten des ganzen EXPO-Trubels.
Vereinigte Arabische Emirate
Dass Geld keine Rolle spielt zeigt sich beim Bau des Pavillons der V.A.E.. Norman Foster wurde als Architekt verpflichtet und er stellte einen imposanten Bau hin: Die Feinstruktur der zwölf Meter hohen Außenwände ähnelt einer vom Wind geriffelten Sanddüne – sehr elegant und sophisticated.
Nepal
Ob der Pavillon jetzt schon besetzt ist, weiß ich nicht. Anfang Juni war es ein Ort der Besinnung, der Trauer, aber auch der Solidarität – ein leerer Pavillon, der mit Hilfe anderer Länder fertiggebaut werden musste, da alle nach dem furchtbaren Erdbeben im April in Nepal nach Hause zurückfuhren.
Italien
Die Warteschlange war einfach zu jeder Zeit zu lang – ich hab’s nicht geschafft. Von außen ist der italienische Pavillon ein beeindruckendes Werk (Nemesi & Partners), mehr kann ich dazu leider nicht sagen.
Frankreich
Im französischen Pavillon hängt der Himmel voller Lebensmittel! Die Franzosen lassen ihre Spezialitäten – hübsch arrangiert – von der Decke hängen. Nett anzusehen, that’s it.
USA
Zuviel, zu wenig? Schwer zu sagen, mir scheint der amerikanische Pavillon in erster Linie für Kinder konzipiert, ist auch ok. Schön: Die seitliche Außenfassade besteht nur aus Salaten und Kräutern.
Future Food District
Eigentlich eine Enttäuschung: Unter diesem Titel erwarte ich mir auf einer EXPO etwas anderes als einen großen Supermarkt, der auch nicht anders funktioniert als jeder kleine Supermarkt. Die Informationen (Nährwerte, Allergene etc.) sind zwar auf digitalen Bildschirmen zu sehen, am Ende wird der Einkauf eingescannt, aber das war’s dann auch schon. In diesem Fall: Viel Lärm um nichts!
Länder, die keinen eigenen Pavillon bauen konnten oder wollten, wurden – durchaus sinnvoll – zu 9 sogenannten „Clustern“ zusammengefasst, die sich hier in kleineren Einheiten zu bestimmten Themen (wie Reis, Kakao, Kaffee, Gewürze etc.) präsentieren konnten. Und hier ist dann einiges daneben gegangen! Ich habe mir lange den Kopf zerbrochen, warum das so sein muss. Dass ärmere Länder nicht groß aufgeigen, ist völlig klar, dass aber am Thema vorbei in gar nicht so wenigen dieser Cluster-Räume nichts außer buntem Kunsthandwerk und vielleicht ein paar Fremdenverkehrsplakate gezeigt werden, verstehe ich nicht. Kreative Köpfe gibt es in jedem Land, die mit wenig Budget tolle Ideen zeigen können – das ist keine Frage des Geldes. Oder wurde vielleicht Fördergeld in dubiosen afrikanischen Regierungen versenkt und gerade der Neffe des Präsidenten kann sich 6 schöne Monate in Mailand machen? Für mich ist diese Form der Darstellung sogar kontraproduktiv.
Von plötzlicher Tschingderassabum-Musik sollte man sich nicht irritieren lassen, dann zieht (wie in Disneyland) die Parade vorbei. Die Besetzung ist nicht ganz klar, neben Früchten und Gemüse hüpfen Heidifiguren und ??? herum. Ich hatte den Verdacht, dass diverse übriggebliebene Kostüme hier verwendet werden …
Ähnlich kitschig empfand ich die Standeln in der Mitte der Hauptstraße. Völlig unnötig, so, als hätte jemand Angst vor einer zu leeren Straßenmitte gehabt und Anleihen bei der Theaterrequisite oder der Grottenbahn genommen, um thematisch Lebensmitteln zu präsentieren (Käse, Schinken, Fisch, Wein … aus Pappmaché oder Plastik).
Eine Erwartung kann ich gleich zerstreuen: Obwohl man bei dem Generalthema Hunger bekommt und vielleicht auf Kostproben exotischer Speisen oder bekannter Nahrungsmittel in den Pavillons hofft – hier dürften sich die Gastronomie bzw. die Großkonzerne durchgesetzt haben, denn es gibt nicht ein einziges Stück zur Gratisverkostung, sondern alles nur gegen Cash.
Überhaupt die Gastronomie! Die meisten großen Pavillons bieten auch einen Gastronomiebereich an, mit unterschiedlicher Qualität. Lange Schlangen sah ich bei der argentinischen Grillerei (sicher ein gutes Zeichen), sehr entspannt und mit gutem Essen ging es in Qatar zu. Der Riesenbereich von Eataly, in dem alle 20 italienischen Regionen ihre lokalen Spezialitäten kochen, ist naja… Gut für einen kleinen Streifzug durch die italienische Küche, aber mühsam mit Aussuchen und Anstellen. Fürs Essen muss man definitiv nicht auf die EXPO kommen!
Tipps:
– Anreise: Von Mailand aus wird zwar überall die Anfahrt mit der roten Metrolinie M1 vorgeschlagen, wesentlich schneller, bequemer und näher zum Eingang gelangt man jedoch mir der Schnellbahn S5 und S6 zum selben Preis (Abfahrt z.B. Repubblica oder Garibaldi).
– Die Tickets würde ich auf jeden Fall vorher im Internet buchen; für einen schnellen Überblick reicht das günstige Abendticket.
– Lange Fußmärsche einplanen, der Shuttle-Bus außen herum hat zumindest bei meinem Besuch nicht recht funktioniert.
– Ebenso lange Wartezeiten bei vielen Pavillons einplanen, manchmal wird es gegen Abend besser.
– Stationen mit Gratis-Trinkwasser sind über das Gelände verteilt, aus einem Hahn kommt stilles, aus dem anderen prickelndes kaltes Wasser.
– Sehr nett für einen Aperitvo mit Aussicht: die Martini-Bar im 1. Stock!
http://www.expo2015.org/it
http://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/hightech-bienenstock-und-solar-baeume-1.18542955