Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ bei den Wiener Festwochen

Eine höchst interessante Aufführung: Das Hamburger Thalia Theater gastierte mit Peter Handkes Stück „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ bei den Wiener Festwochen. Das Besondere hier ist, dass es von Handke genaue Regieanweisungen gibt, aber kein Wort gesprochen wird. Die Uraufführung 1992 (auch im Theater an der Wien im Rahmen der Festwochen, Regie Claus Peymann) habe ich damals anscheinend nicht gesehen, denn ich erinnere mich an gar nichts.

Peter Handke, Die Stunde ...  Peter Handke, Die Stunde ...

Deshalb kann ich auch nicht beurteilen, wie weit das estnische Regieduo Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper die Anweisungen geändert hat – einige Szenen dürften jedoch mit Handkes Zustimmung neu dazugekommen sein.

Der Zuschauer beobachtet zweieinhalb Stunden lang die 20 Schauspieler und Schauspielerinnen sowie eine Gruppe Asiaten, die über einen imaginären Platz gehen, laufen, kriechen, fahren…. Es tut sich permanent etwas, Langeweile kam zumindest bei mir nicht auf. Die Darsteller leisten Großartiges, ziehen sich im Eilzugstempo um und stellen mindestens 100 verschiedene Figuren dar.

Peter Handke, Die Stunde ...  Peter Handke, Die Stunde ...

Eindrucksvolle Bilder wechseln mit leider kitschigen plakativen Szenen. So hat mir z.B. die Verdrängung unserer westlichen Arbeitswelt durch chinesische Arbeiter und das „Altencasting“außerordentlich gut gefallen, hingegen das hell erleuchtete Tor, durch das die ganze Truppe nackt ungefähr 10 Mal hin und her schreitet, überhaupt nicht.

Peter Handke, Die Stunde ...

Die Assoziationen sind vielfältig und jeder muss hier seine eigenen Bilder im Kopf entstehen lassen.

Aus einem Interview, das Peter Handke im Jahr 1992 Sigrid Löffler für die Zeitschrift profil gegeben hatte: Was das Stück ausgelöst hat, war ein Nachmittag vor vielen Jahren. Ich habe damals auf einem kleinen Platz in Muggia bei Triest den Tag verbracht. Ich bin dort den ganzen Tag auf einer Café-Terrasse gesessen und habe gesehen, wie sich das Leben abspielt. Ich bin wirklich ins Schauen gekommen, vielleicht auch mit Hilfe von Wein. Alles wurde zeichenhaft, ohne symbolisch zu werden. Die kleinsten Vorgänge fingen an, Zeichen zu werden, als ob sie die Welt bedeuteten – ich weiß nicht, welche Welt, die Welt eben. Nach drei, vier Stunden fuhr ein Leichenwagen vor ein Haus, Männer gingen hinein und kamen dann mit einem Sarg heraus, Zuschauer versammelten sich und lösten sich wieder auf, der Leichenwagen fuhr weg. Danach ging der Betrieb wieder weiter – von Touristen, von Einheimischen, von Handwerkern. Die nachher kamen wußten nicht, was vorher war. Aber für mich, der das gesehen hatte, war durch die Aktion mit dem Leichenwagen doch alles, was nachher kam, leicht verändert. Die Passanten wußten alle nichts voneinander – daher der Titel. Aber wir, die wir zuschauen, wir sehen die Passanten wie Skulpturen, die einander erst zu Skulpturen machen. Was nachher kommt, gibt dem, was vorher war, erst den Umriß; und das, was vorher war, gibt dem, was nachher kommt, die Skulptur.

Empfehlung (für Hamburg, wieder ab 3. Juni 2015): 3*

http://handkeonline.onb.ac.at/node/608

http://www.thalia-theater.de/de/spielplan/

Alles Dante! Vor 750 Jahren wurde der italienische Ausnahmedichter geboren

Den genauen Tag seiner Geburt weiß man nicht – entweder im Mai oder im Juni 1265 wurde Dante Alighieri in Florenz geboren.

Agnolo Bronzino, Dante rivolto verso il Purgatorio (1530, National Gallery of Art, Washington)

Agnolo Bronzino, Dante rivolto verso il Purgatorio (1530, National Gallery of Art, Washington)

Neben dem Liebesgedicht „Vita nova“ ist uns heute vor allem sein Hauptwerk „La divina commedia“ ein Begriff. In Italien wird es im Literaturunterricht ein ganzes Schuljahr lang durchgenommen. Und er hat damit ja auch etwas Revolutionäres ausgelöst, nämlich dass das übliche Latein in der Literatur durch die italienische Sprache abgelöst wurde.

Aus Anlass seines Geburtstages wird der Dichter in vielfacher Hinsicht geehrt.

Heute (18.05.2015) gab es eine Folge von Apropos Musik auf Ö1, also noch nachzuhören bis 25.05. auf dieser Seite: http://oe1.orf.at/programm/404675 Hier wurde der interessante Aspekt behandelt, wie Komponisten Dantes Ideen und Figuren vertonten (z.B. Liszt, Verdi, Tschaikowsky).
http://oe1.orf.at/konsole?show=ondemand

Raffaello Sanzio, Disputa del sacramento, (1508-1509, Vatikan)

Raffaello Sanzio, Disputa del sacramento, (1508-1509, Vatikan)

Im italienischen Senat eröffnete Oscar-Preisträger Roberto Benigni Anfang Mai die Dante-Feierlichkeiten mit einem Vortrag (mit dem Programm „Tutto Dante“ hat er unglaublichen Erfolg auch außerhalb Italiens).

http://www.rainews.it/dl/rainews/media/Il-senato-celebra-i-750-di-Dante-Benigni-legge-il-XXXIII-canto-del-Paradiso-bc9bebaf-3704-4216-a284-ec5b2156f633.html

http://www.tuttodante.it

Henry Holiday, Dante trifft Beatrice an der Brücke Santa Trinita (1883, Liverpool)

Henry Holiday, Dante trifft Beatrice an der Brücke Santa Trinita (1883, Liverpool)

Auf der Seite http://www.dante750.com sind alle möglichen Veranstaltungen (leider nur auf italienisch) aufgelistet. Ausstellungen, Lesungen, Konferenzen in Rom, in Verona, in Florenz sowieso – ich gebe zu, das ist alles etwas unüberschaubar.

Deshalb hier einige Bilder, die zeigen, dass der Dichter über die Jahrhunderte eigentlich immer sehr ähnlich und auf jeden Fall leicht erkennbar dargestellt wurde:
http://www.arte.it/foto/i-ritratti-di-dante-alighieri-333/3?utm_content=buffer32085&utm_medium=social&utm_source=facebook.com&utm_campaign=buffer

Und zum Abschluss noch der Text der „Göttlichen Komödie“ in der Übersetzung von Karl Steckfuß (1778-1844):
http://gutenberg.spiegel.de/buch/-5060/1

Ein Besuch in der Albertina – nur am Mittwochabend!

Lange Schlangen vor den Kassen, überfüllte Ausstellungsräume, durchgeschleuste Touristengruppen – oft sieht es so in der Albertina aus. Schön für das Museum, schön für die Stadt Wien, aber schlecht für interessierte Besucher. Deshalb: Am Mittwochabend hat man die Säle fast für sich alleine, es gibt keine Drängerei bei den Bildern und geöffnet ist bis 21 Uhr!

Letzten Mittwoch zog es mich in die Ausstellung „Von der Schönheit der Natur. Die Kammermaler Erzherzog Johanns“, bevor sie Ende Mai geschlossen wird.

Matthäus Loder, Wasserfälle im Tischlerkar bei Gstein (1827)

Matthäus Loder, Wasserfälle im Tischlerkar bei Gstein (1827)

Jakob Gauermann, Besteigung der Hohen Wildstelle (Skizze, 1814)

Jakob Gauermann, Besteigung der Hohen Wildstelle (Skizze, 1814)

Der Schwerpunkt liegt bei den drei bekannten Kammermalern Erzherzog Johanns (1782-1859), Jakob Gauermann, Matthäus Loder und Thomas Ender. Im Auftrag des Habsburgers, Bruder von Kaiser Franz II., fertigten sie detailgetreue Werke an, der Bogen spannt sich über einen Zeitraum von fast 50 Jahren.. Vielfältig sind die Themen: Neben Landschaftsdarstellungen (hier v.a. Steiermark, Salzburg und Tirol), Trachtenbildern und Industrieanlagen finden sich auch Ereignisse aus Erzherzog Johanns Leben, v.a. natürlich die Liebesgeschichte mit der Ausseer Postmeisterstochter Anna Plochl.

Matthäus Loder, Erzherzog Johann und Anna Plochl (1822)

Matthäus Loder, Erzherzog Johann und Anna Plochl (1822)

Eine kritische Sicht auf die Dinge ist hier trotz Johanns Fortschrittsglauben und -taten nicht zu erwarten, dafür idealisierte alpine Landschaften und biedermeierliche Szenen der bäuerlichen Welt in hoher Qualität. Viele der Bilder sind selten bis gar nicht zu sehen, da sich die Sammlung noch immer komplett im Besitz der Nachfahren des Erzherzogs befindet.

Thomas Ender, Panorama des Monte Baldo mit dem Gardasee (1847)

Thomas Ender, Panorama des Monte Baldo mit dem Gardasee (1847)

Leopold Kupelwieser, Erzherzog Johann (1828)

Leopold Kupelwieser, Erzherzog Johann (1828)

Bis 31.05.2015.

Empfehlung: 3*

http://www.albertina.at/

http://www.albertina.at/jart/prj3/albertina/main.jart?rel=de&reserve-mode=active&content-id=1202307119317&j-cc-node=item&j-cc-id=1402200582541&j-cc-item=ausstellungen&ausstellungen_id=1402200582541

http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Gauermann

http://de.wikipedia.org/wiki/Matth%C3%A4us_Loder

http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Ender

Gute Nachrichten für Opernfreunde: www.theoperaplatform.eu

Seit 8. Mai ist eine neue Plattform online, die das Herz von Musikliebhabern höher schlagen lässt.

Les contes d'Hoffmann (Den Norske Opera & Ballett Oslo)

Les contes d’Hoffmann (Den Norske Opera & Ballett Oslo)

The Opera Platform wird vom Programm „Kreatives Europa“ der EU-Kommission unterstützt und beruht auf der Partnerschaft zwischen dem Dachverband für Opernhäuser und -festivals in Europa „Opera Europa“, dem Kultursender ARTE und 15 europäischen Opernhäusern: Belgien La Monnaie/De Munt Brüssel; Deutschland Komische Oper Berlin, Oper Stuttgart; Finnland Finnish National Opera Helsinki; Frankreich Festival d’Aix-en-Provence, Opéra national de Lyon; Großbritannien Royal Opera House Covent Garden, Welsh National Opera; Italien Teatro Regio di Torino; Lettland Latvian National Opera Riga; Niederlande Dutch National Opera Amsterdam; Norwegen Den Norske Opera og Ballett Oslo; Österreich Wiener Staatsoper; Polen Teatr Wielki Opera Naradowa Warschau; Spanien Teatro Real Madrid.

La Traviata (Teatro Real Madrid)

La Traviata (Teatro Real Madrid)

The Opera Platform wird in drei Sprachen (Deutsch, Französisch und Englisch) zur Verfügung stehen und kostenlos zahlreiche Inhalte und umfassende Informationen bieten: Gesamtübertragungen von Opern, Libretti, Auszüge, Interviews mit Künstlern, Backstage-Reportagen, Dokumentarfilme über die Berufe der Opernwelt u.v.m. Europäische Opernhäuser gewähren Einblick in ihre Archive und das aktuelle Geschehen.

Jeden Monat wird mindestens eine neue Oper aus Europa online gestellt. Die Produktionen sind in sechs Sprachen untertitelt (Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Polnisch) und können sechs Monate lang on demand abgerufen werden. (apa)

Nächste Termine:

16.05.2015, 18:45: “Król Roger“ (Karol Szymanowski), Royal Opera House London
23.05.2015, 19:00: “Kullervo” (Jean Sibelius), Finnische Nationaloper
30.05.2015, 19:00: „Valentina“ (Arturs Maskats), Lettische Nationaloper
07.06.2015, 19:00: “Götterdämmerung” (Richard Wagner), Wiener Staatsoper

http://www.theoperaplatform.eu

Flieder in Wien – die schönste Zeit im Jahr

Für mich ist die schönste Jahreszeit der Frühling – und besonders dann, wenn der Flieder blüht. Und dann gibt es in Wien einige Plätze, wo der Flieder besonders schön blüht.

St. Marxer Friedhof

Da ist zunächst einmal der Heldenplatz, wo schon im Jahr 1900, als Carl Moll das Bild malte, die Fliederbüsche standen.

Carl Moll, Heldenplatz mit Flieder, um 1900/1903 © Belvedere, Wien

Carl Moll, Heldenplatz mit Flieder, um 1900/1903 © Belvedere, Wien

Und dann natürlich der Friedhof St. Marx, in den man trotz der nahen Autobahn wie in eine verwunschene Welt eintaucht … Flieder, wohin man schaut, die ganze Luft ist voll von seinem Duft!

Flieder am St. Marxer Friedhof  Flieder am St. Marxer Friedhof

Flieder am St. Marxer Friedhof  Flieder am St. Marxer Friedhof

Auch in anderen Monaten ist ein Besuch zu empfehlen, denn die Grabsteine zeigen alle Kunststile des 19. Jahrhunderts, von Empire über Biedermeier bis zu Historismus.

St. Marxer Friedhof  St. Marxer Friedhof

St. Marxer Friedhof  St. Marxer Friedhof

Dass in St. Marx auch ein Grabmal für Wolfgang Amadeus Mozart steht, lockt viele Touristen an, auch wenn Mozarts Überreste sicher nicht hier begraben sind und es sich nur um die vermutete Stelle seines Grabes handelt.

Mozartgrab am St. Marxer Friedhof

https://www.wien.gv.at/umwelt/parks/anlagen/friedhof-st-marx.html

http://de.wikipedia.org/wiki/Sankt_Marxer_Friedhof

http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Moll

Verflechtung von Kunst und Mode: Beitrag im ORF-„Kulturmontag“ am 4. Mai 2015

Passend zu einem meiner letzten Beiträge wird nun im nächsten „Kulturmontag“ am 4. Mai ein Bericht über das Zusammenspiel von Kunst und Modeimperien gesendet. Aktueller Anlass ist die Eröffnung des zweiten Standortes der Fondazione Prada (nach Venedig). In einer ehemaligen Schnapsbrennerei im Süden Mailands wird Anfang Mai ein neuer Ausstellungsort eröffnet, umgestaltet von Rem Koolhaas und aufgepeppt mit einer Bar von Regisseur Wes Anderson („The Grand Budapest Hotel“).

Fondazione Prada, Mailand, Modell (Rem Koolhaas)

Fondazione Prada, Mailand, Modell (Rem Koolhaas)

„Das Engagement in Kunst ist nicht reinem Altruismus geschuldet. All den kunstsinnigen Modeimperien geht es nicht zuletzt auch darum, ein wichtiges Kapital auszubauen: Prestige – und das lockt Käufer.“ (apa)

Dazu fallen mir auch noch die Kunst-Stiftungen von Trussardi, Renzo Rosso (Diesel) und natürlich Louis Vuitton ein.

Fondation Louis Vuitton, Paris (Frank O. Gehry)

Fondation Louis Vuitton, Paris (Frank O. Gehry)

Termin: Montag, 4. Mai 2015, ab 22.30 Uhr in ORF 2.

http://www.fondazioneprada.org/

http://www.urbanfile.org/project/europe/italy/milano/nuova-sede-fondazione-prada?Image_page=3

http://www.hollywoodreporter.com/news/wes-anderson-designs-a-bar-767936

http://www.fondazionenicolatrussardi.com/

http://www.fondationlouisvuitton.fr/

http://www.otbfoundation.org/