Puppen und Toleranz: Lessings „Nathan der Weise“ im Volkstheater in Wien

Der vielseitige Regisseur Nikolaus Habjan, in erster Linie als Puppenspieler bekannt, hat sich Gotthold Ephraim Lessings Aufklärungsstück „Nathan der Weise“ vorgenommen und im Volkstheater inszeniert.

Da die Auftraggeber Habjan mitsamt seiner Puppen „gebucht“ hatten, er jedoch diese Art der Umsetzung nach intensiver Beschäftigung mit dem Stück nicht mehr wollte, griff er zu einem Trick: Der Jude Nathan bekam ein Alter Ego (eine Puppe), mit dem er hadernd in Zwiesprache treten und seine Gedanken darstellen kann. Günter Franzmeier als Nathan finde ich übrigens ausgezeichnet.

Nathan (Günter Franzmeier) mit seinem anderen Ich © http://www.lupispuma.com / Volkstheater

Im Stück geht es ja um Toleranz zwischen den drei großen Religionen Christentum, Judentum und Islam, das in der berühmten Ringparabel die Quintessenz zusammenfasst: Alle Religionen sind gleich viel wert. Ein hochaktuelles Thema, das durch Bühnenbild und Kostüme in die Gegenwart versetzt wird. Gerade das Bühnenbild, eine Drehbühne mit rauchenden Ruinen, hätte für meinen Geschmack reduzierter sein können.

Nathan (Günter Franzmeier, l.) erzählt Sultan Saladin (Gábor Biedermann, r.) die Ringparabel © http://www.lupispuma.com / Volkstheater

Gut, dass viele Jugendliche an diesem Abend im (ausverkauften) Theater saßen, denn damit sind zwei Fliegen mit einem Streich erledigt. Zum einen können sie über ein mehr als 200 Jahre altes Stück und dessen Aussagen zum friedlichen Nebeneinander nachdenken, zum anderen wird ein Klassiker der deutschen Literatur so aufgeführt, dass ihnen nicht Theaterbesuche für die Zukunft verleidet werden.

Empfehlung: 4*

https://de.wikipedia.org/wiki/Nathan_der_Weise

http://www.volkstheater.at/stueck/nathan-der-weise/

https://www.nikolaushabjan.com/

So traurig – „Das Wechselbälgchen“ im Volkstheater

Die Geschichte der kleine Zitha (benannt nach der „bösen Königin“) rührte mich zu Tränen. Ein Wechselbalg, also ein von bösen Geistern oder dem Teufel untergeschobenes Kind, viel Aberglauben und Zauberei, das harte Leben einer Magd in den Kärntner Bergen – das alles wird in dieser Volkstheaterinszenierung mit wenigen, aber sehr effektvollen Mitteln dargestellt.

v.l.n.r.: Seyneb Saleh, Florian Köhler, Gábor Biedermann, Claudia Sabitzer

v.l.n.r.: Seyneb Saleh, Florian Köhler, Gábor Biedermann, Claudia Sabitzer

Nach einem Buch von Christine Lavant stammt die Bühnenfassung von Maja Haderlap, Regie führte Nikolaus Habjan. Ein Team von 2 Schauspielerinnen, 2 Schauspielern und einigen Puppen genügt, um die traurigen Ereignisse rund um die Magd Wrga und ihr uneheliches, zurückgebliebenes Kind zu erzählen. Die Puppen werden dabei so liebevoll geführt, dass man meint, echte Kinder vor sich zu haben. Am Ende hat das Wechselbälgchen zwar eine heldenhafte Tat vollbracht, aber um welchen Preis …

Wechselbälgchen

Christine Lavant hat in diese Erzählung wohl viel eigene Erfahrungen einfließen lassen, wie ihre Kindheit in unvorstellbar armen Verhältnissen, aber auch vom Umgang mit behinderten Kindern.

Wechselbälgchen

Es ist keine leichte Kost, allerdings so berührend vom jungen Ensemble dargestellt, dass ich das Stück unbedingt empfehlen kann.

In den nächsten Wochen noch als Volkstheater in den Außenbezirken, soll „Das Wechselbälgchen“ ab Mitte Februar ins Haupthaus übersiedeln.

Nicht ganz so stimmig die Saaldeko: Volkstheater in den Außenbezirken in der VHS Hietzing

Nicht ganz so stimmig die Saaldeko: Volkstheater in den Außenbezirken in der VHS Hietzing

Das Buch wurde im Wallstein Verlag herausgebracht und ist sicher eine interessante Ergänzung zum Theaterstück, v.a. um die ganz eigene Sprache von Christine Lavant zu erleben.

Empfehlung: 4*

http://www.volkstheater.at/stueck/das-wechselbaelgchen/

http://www.wallstein-verlag.de/autoren/christine-lavant.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Christine_Lavant

https://de.wikipedia.org/wiki/Maja_Haderlap

http://nikolaushabjan.com/

Tipp für Neujahr: Der Puppenspieler Nikolaus Habjan im Burgtheater (oder Akademietheater?)

Wer noch nicht weiß, was er zu Neujahr machen soll: Nikolaus Habjan wurde vom Burgtheater eingeladen, die Neujahrsvorstellung 2015 mit „Der Herr Karl“ von Helmut Qualtinger und Carl Merz zu bestreiten. Ein genialer Puppenspieler, der nicht nur den bösartigen Humor vom Herrn Karl mithilfe der Puppe auf eine völlig neue Art rüberbringt, sondern der etwa gerade im Akademietheater mit dem berührenden Stück „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“ für Betroffenheit und Begeisterung gesorgt hat.

"Der Herr Karl" mit Nikolaus Habjan (Foto: Schuberttheater)

„Der Herr Karl“ mit Nikolaus Habjan (Foto: Schuberttheater)

Die Heimatbühne von Habjan ist übrigens das kleine Schuberttheater im 9. Bezirk, das auf jeden Fall einen Besuch wert ist und eine ganze Reihe an Produktionen des Puppentheaters in der Regie der Nestroypreisträger Simon Meusburger und Nikolaus Habjan zeigt.

Der Vorverkauf für die Neujahrsvorstellung beginnt am 20. November!

http://schuberttheater.at

Empfehlung: 4*